Autobiografie

Sankt-Petersburg | Nachts werden die Brücken hochgefahren, um die Durchfahrt der großen Schiffe auf dem Fluss Newa zu ermöglichen:

Blick auf die Kunstkammer | Museum in Sankt-Petersburg | Seine Bestände zählen zu den vollständigsten anthropologischen und völkerkundlichen Sammlungen der Welt.:

Die große Kaskade | Peterhof | Sankt-Petersburg:

Heutzutage wissen nicht viele etwas über die Blockade Leningrads. Meine Familie hat sie erlebt, ihre Folgen habe ich gespürt und trage sie immer noch tief in meiner Seele.

 

Wann beginnt das Leben eines Menschen? Mit der Geburt? Viel eher

Über meine Vorfahren weiß ich sehr wenig. Es gibt nur ein paar Fotos von meiner Mutter und meinem Vater. Wie sahen meine Großeltern aus – weiß ich nicht. Es ist alles verloren gegangen.

Die Geschichte meiner Familie kann ich nicht lange zurück verfolgen. Es ist nur das, was in meinem Gedächtnis geblieben ist, die kurzen Erzählungen aus meiner Kindheit, die bitteren Erinnerungen. Die Blockade Leningrads und die Evakuierung meiner Oma mit zwei Kindern: meinem Vater und seiner Schwester in den Kaukasus.

Mein Opa, ein russischer Soldat finnischer Nationalität, ist in den ersten Monaten des Krieges gefallen. Er soll ein sehr guter Familienvater gewesen sein, so hat ihn meine Oma bezeichnet. Sie hat mir damals erzählt, dass er ihr beim Abstillen ihres Sohnes geholfen hat. Der kleine Junge wollte es nicht. So hat mein Opa, damals junger Vater, sich einen Trick ausgedacht: bevor er zur Arbeit ging, hat er meiner Oma die Brüste mit Senf bestrichen. Das Kind hat im Fenster beobachtet, wie der Vater sich vom Haus entfernte und lief zur Mami, doch die Brust schmeckte nach Senf – widerlich! Oma und Opa mochten immer einen schön gedeckten Tisch. Die Esskultur war meiner Oma bis zum Ende ihres Lebens sehr wichtig.

Die Evakuierung hat meiner Oma und den Kindern das Leben gerettet, obwohl es im Kaukasus nur ums Überleben ging. Um den ständigen Hunger zu stillen, haben alle, sogar die Kinder, angefangen zu rauchen. Am Anfang des Krieges war mein Vater 5 Jahre alt. Meine Oma mit den Kindern lebte in einem „Semlianka“, ein in die Erde gegrabenes Loch mit einer Überdachung aus Balken, die auch mit Erde bedeckt waren. Der Boden war schwarz von Flöhen. Mein Vater war lange Zeit sehr schwer krank und es war ein Wunder, dass er überlebt hat. Alkohol diente damals als einziges Medikament. Seitdem war mein Vater Alkoholiker.

Meine Mutter hatte Rachitis und konnte bis zu ihrem 5. Lebensjahre nicht laufen. Um das Kind zu beruhigen, hat ihre Mutter jeden Tag gekautes Brot in ein Stofftuch gewickelt und als Schnuller verwendet. Mehr nicht. Es gab nichts mehr zu essen. Eine sehr starke Bombardierung des Zuges, indem meine Oma einmal war, blieb für sie nicht ohne Folgen – psychisch. Als ich im Alter von 7 Jahren sie einmal besuchte, habe ich dies nicht bemerkt. Sie war eine sehr lustige Frau, allerdings musste sie beim Lachen pinkeln. Alle Ärzte und das Pflegepersonal mochten sie gerne, sie hat für alle Socken gestrickt und verschenkt. Wir erhielten regelmäßig von ihr Holzboxen, aus einem winzig kleinem Dorf nach St. Petersburg geliefert. Die Holzboxen rochen nach Siegellack und getrockneten Äpfel. Dort waren in Zeitungspapier liebevoll verpackt selbstgestrickte Socken, 3-liter Gläser voll mit Honig, getrocknete Pilze und Apfelscheiben mit erhaltenen Kernhäusern. Meine Oma liebte ich sehr… Wie viele Kinder Sie gehabt hat – weiß ich nicht mehr. Ich habe es vergessen, ich glaube es waren 8, von denen nur meine Mutter überlebt hat. Sie ist im Alter von 14 Jahren nach Sankt-Petersburg umgezogen, um in einer Fabrik als Spinnerin zu arbeiten. Dort zur Schule gehen konnte sie nicht mehr. Aber in ihrem ganzen Leben hat sie sich weiterentwickelt und ist zu einer gebildeten Frau geworden. Am Ende ihres schwierigen Lebens hat sie als Sozialpädagogin gearbeitet, weil sie immer etwas Gutes tun wollte…

 

 

Leningrad (heute Sankt-Petersburg) ist mein Geburtsort. Ich habe immer noch widersprüchliche Gefühle. Die Stadt ist etwas Besonders. Architektur, Kunstsammlungen, Kulturangebote, alles in einer konzentrierten Form. Eine Pracht, die für mich sehr lange nichts Besonderes war. Die vielen Aufzählungen von  Meisterwerken, Baukünstlern, Pilastern aus Carrara Marmor, Parkettböden aus Kirsch-, Ebenholz und so weiter waren für ein Kind wertlos und langweilig. Doch ich erkannte später, dass man dieses Erbe schätzen und schützen muss. Wenn ich die Augen schließe, entstehen majestätische Bilder im Kopfkino. Was für eine Herrlichkeit wurde erreicht mit den Händen von  Handwerkern, die damals nur primitive Gerätschaften und Technologien zu Verfügung gehabt haben! Wie viele sind dabei ums Leben gekommen. Ihre Geschichten werden wir nie erfahren. Die Stadt war immer multinational, wurde von den Menschen vieler Nationalitäten gebaut und die multinationalen Kunstwerke sind als Denkmal dort geblieben.

 

Die staatliche Hermitage verfügt über eine Kollektion von mehr als 3 Millionen Werken der Weltkunst und Denkmälern der weltweiten Kultur. In ihrem Bestand sind Malereien, Grafiken, Skulpturen und Objekte der angewandten Kunst, archäologische Funde und numismatisches Material.“ (Aus der Homepage des Museums | meine Übersetzung)

Als Kind habe ich sehr viel Glück gehabt, dort Zeit verbringen zu können. Besonders aufregend waren die Momente, als die meisten Besucher schon das Museum verlassen hatten und wir, eine kleine Schülergruppe, durch die leeren schon halbdunklen langen majestätischen Korridore und Gänge zurück gehen mussten. Unsere sehr engagierte Französischlehrerin hat uns auf die Arbeit als Reiseleiter|innen vorbereitet.

 
Der Obere Garten | Peterhof | Sankt-Petersburg

 
 

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